Dienstag, 15. November 2011

Schwarzes Licht; Tödlicher Nebel!


Als ich das Zimmer betrat stieg beißender Rauch in meine Nase. Das Schwarzlicht der Notbeleuchtung erhellte nur spärlich den Raum. Die Betten waren leer. Wo sonst die Kinder spielen - gähnende Lehre. Die Küche schien fluchtartig verlassen worden zu sein. Überall schmutzige Schüsseln und sogar angefangene Teller. Mein Blick fiel sofort auf den offenen Sicherungskasten der ungewohnt schwarz aussah. Ich wusste, dass es gestern im 2. Stock kurz gebrannt hatte. Eine Steckdose war auf einmal beim Saugen explodiert. Schnell hastete ich dorthin die Treppe hinauf. Mein erster Blick fiel auf das Sofa wo sonst immer die chinesische Oma mit den Babys saß. Heute war es leer. Eine erdrückende Stille lag in der Luft. Eine Stille, die ich in den 3 Monaten hier noch niemals erlebt hatte. Irgendwo hörte ich ein paar dumpfe Schritte und Menschen sprachen hastig miteinander. Dann verstummte alles.

注意! -  ACHTUNG!
Auf einmal sah ich es. In der Mitte des Raumes, fast unscheinbar, stand die schwarz-rötliche Dose mit Giftgas. Hochkonzentriertes und auf jedes kleinere Tier tödlich wirkende Giftgas. Dahinter noch eine Dose, und weiter hinten noch eine. Die kleine Pfütze daneben lies darauf schließen, dass hier eine völlige Überdosis angewandt wurde.
Sofort ergriff ich panikartig die Flucht und stürzte mit angehaltenem Atem die Treppen hinunter zurück ins Freie. Trotz der vom Regen feuchten Luft spürte ich das starke Brennen in meiner Kehle. Ein Schwindelgefühl hüllte mich ein und ich beugte mich weit über den Balkon um möglichst viel unverseuchte Luft erhaschen zu können.
Auf einmal wieder Schritte, Stimmen. Ein alter Mann kam plötzlich mit vors Gesicht gehaltener Jacke rausgerannt. Ich erkannte ihn, es war unser Nachbar. Er schrie nur: "Nicht einatmen! Bloß nicht einatmen!!!" Suchte irgendwas in der Küche und rannte wieder zurück in den von grau waberndem Nebel durchzogenen Raum.
Ich war so überrascht, dass ich ihn nicht einmal hätte stoppen können.
Meine Knie waren weich Gummi. Ich setzte mich an den Rand der Brüstung und dachte nach. Warum hatte mir unsere Chefin nicht Bescheid gesagt? Warum sah alles so fluchtartig verlassen aus? Was hatte der offene Sicherungskasten zu bedeuten und vor allem, welche Rolle spielte dieser Mann dabei?
Fragen über Fragen, auf die ich in dem Moment einfach keine Antwort wusste. Er schien meine Hilfe nicht zu benötigen, sonst hätte er mich sicherlich dazu aufgefordert. Fragen konnte ich gerade auch niemanden. Selbst die sonst befahrene Straße war in diesem Moment völlig menschenleer. Nur auf den Balkons wurde Wäsche, vom Regen durchtränkt, vom Wind hin- und hergeworfen.
Ich spürte das mein Körper jetzt erstmal dringend Energie brauch. Schnell suchte ich mir aus der auf dem Balkon befindlichen (und somit höchstwahrscheinlich nicht vergasten - verzeiht mir den Ausdruck) Küche ein karges Mahl zusammen. Dabei überlegte ich. Da das Haus an den Berg heran gebaut war, gab es oben noch einen weiteren Eingang. Nur dort konnten die Stimmen hergekommen sein, denn im Haus konnte sich keiner mehr aufhalten.
Ich lief die Straße dorthin hinauf, als mir plötzlich eine Erwachsene aus unserem Haus entgegengestolpert kam. Ihr Keuchen konnte ich schon von Ferne hören. Sie starrte mich mit völlig blutunterlaufenen Augen und bleichem, eingefallenem Gesicht an und versuchte irgendwie zu sprechen, doch die Stimme versagte ihr. Stumm zeigte sie nur immer wieder panisch auf unser Haus und versuchte mich energisch davon wegzuschieben. (Das muss sehr komisch ausgesehen haben, hat mir in dem Moment jedoch eher Angst eingejagt.) Mit Zeichensprache erklärte sie, sie sei dort drinnen beinahe verreckt. Als sie dann versuchte den Namen meiner Chefin auszusprechen kam nur ein furchterregendes Krächzen aus ihrer Kehle.
Nun endlich griff ich zum Handy um eben jene anzurufen. Natürlich war mein Guthaben fast leer und die 1. Nummer besetzt. Als ich sie dann endlich sprach sagte sie nur: "Ja äh, du kannst heut später anfangen, sind keine Kinder da!" Als ich ihr von der armen Frau vor mir berichtete, da sagte sie nur verärgert, sie hätten versucht sie zu warnen und mitzunehmen, aber diese wollte partout nicht hören und blieb stur im Haus sitzen. Leider nimmt sie gegen jedes Verbot weiterhin Drogen und ist deshalb mental leider nur noch auf der Höhe eines Kindes. Ich wollte sie auf dem Gepäckträger ins naheliegende Krankenhaus zu fahren, doch sie lehnte entschieden ab. Sicherlich hat sie Angst davor das die Polizei eingeschaltet werden könnte.
Als ich nun dort am Rande der steilen Bergstraße stand und sie durch den Regen davonstolpern sah, fühlte ich mich irgendwie völlig im falschen Film. 
Aber es war die Realität und nun musste ich endlich herausfinden was es mit den Stimmen und dem aufgeregten Mann auf sich hatte.
Als ich schwitzend oben ankam sah ich wieder dieses tückische Schwarzlicht die Räume durchfluten. Schon vom Fenster aus starrten mich die kaum Coladosen-großen Giftbüchsen mit dem fies grinsenden Totenkopf darauf an. Sofort wusste ich, hier war keiner mehr. Mein Blick fiel plötzlich auf die flüchtenden Kakerlaken um mich herum, die, mal stolpernd, mal am Boden kriechend das Haus verließen. Manche drehten sich auf der Stelle, andere lagen die Beine in die Luft gestreckt auf dem Rücken und kämpften ihren letzten Kampf. Diese Todesstimmung ließ mich intuitiv fragen, ob wir Menschen wirklich all diese kleinen Tiere so qualvoll sterben lassen müssen.
Aber ich wollte der Sache auf den Grund gehen. Mit der immer griffbereiten Smogmaske bewaffnet und mit gehörigem Respekt betrat ich nun von oben das Haus. Ich schrie in die Stille hinein, doch niemand antwortete mir. Ich zuckte zusammen als unten plötzlich ein altes Telefon schellte. Doch da mir der Qualm so sehr in den Augen brannte und das Haus nun wirklich völlig menschenleer zu sein schien, ging ich schnell wieder ins Freie. Beinah wäre ich hier auf eine mindestens Daumen-große Kakerlake getreten, die den Kampf gegen das starke Gift noch nicht verloren hatte und sich mühsam vorwärts schleppte. Der Anblick dieser leidenden Kreaturen erweckte in mir ein Gefühl von Ärger und Mitleid zugleich. Doch als ich sah, wie dieses ausgewachsene Exemplar sich plötzlich an mein Hosenbein klammerte, schwand jedes Mitgefühl und es landete im hohen Bogen im Steinhaufen gegenüber.
Kurz darauf kamen meine Kollegen zurück. Der Wind hatte jedoch unsere Außentür zugeschlagen und natürlich hatte wieder einmal niemand einen Schlüssel. Also musste ich wohl oder übel noch einmal komplett durch unser völlig vernebeltes Geisterhaus um die Türen unten von innen zu öffnen. Dabei sah ich die ganzen Mücken, Motten und Käfer auf den Boden verstreut regungslos daliegen.

Sie betraten das Haus, öffneten 2 von 6 (!) Fenstern, und fingen sofort an aufzuräumen und zu putzen. Schnell hob ich unsere Schiebetür aus den Angeln und öffnete die Fenster um so viel Frischluft wie möglich hereinzulassen.
Später beim Saugen kam noch 3 Mal die Sicherung, doch gebrannt hat Dank sei Gott diesmal nichts. Das Schwindelgefühl verschwand nach einem Weilchen, doch dieses seltsame Brennen in meiner Kehle hielt noch an bis zum nächsten Morgen. Fast unwirklich schien es mir als nur wenige Stunden später wieder die Kinder genau an dem Ort spielten, vor kurz zuvor noch das Gift ausgelaufen war. Es wurde nur einmal kurz gesaugt und durchgewischt und das wars. Später sagte mir jemand das das Haus hier alle paar Monate evakuiert und dann eingegiftet wird. Hoffentlich sind die Kinder schon dagegen resistent dachte ich. Doch diese streiteten und spielten wie eh und je und machten nicht das geringste Anzeichen von irgendetwas Besonderem. Später fand ich noch in hinteren Räumen einige weitere Giftdosen, die ich dann schnell entsorgte. Ich bin froh das ich sowas in Deutschland noch nicht gesehen habe, bin mir aber sicher das es das auch gibt, wenn auch nur in abgeschwächter Form.
Die abhängige Frau sah heute (einen Tag darauf) übrigens schon wieder viel besser aus, nur ihre Stimme brauch wohl noch etwas länger um sich zu erholen.

Liebe Grüße und Gottes Segen aus dem frühlingshaften Taiwan! =o) 
Euer MazBasti ><>