Sonntag, 25. August 2013

Rückkehr für 5 Wochen


Bei der Landung, 6.8.2013
Gott sei Dank endlich wieder zurück in Taiwan – dieser Satz brannte mir im Herzen bei der lang ersehnten Landung vor fast 3 Wochen. Und er hat sich eigentlich täglich wiederholt. Man kann sich kaum die Freude vorstellen, endlich wieder bei meiner hiesigen „Familie“ zu sein: den Tanten, den Kindern, den Patienten, den schweren Fällen und den vielen Menschen, die mir in dem Jahr meines Einsatzes hier wichtig geworden sind. Leider sind einige verschollen, untergetaucht, wieder auf die schiefe Bahn gekommen, oder wieder zurück im Gefängnis. Das ist traurig, aber das Leben und die Drogen (vor allem Heroin) setzen den Leuten hier schon arg zu.
Eine meiner Lieblingstanten war damals wirklich schon weit gekommen auf dem Weg des Entzugs. Doch vor kurzem kam ihr Mann nach einer langjährigen Haftstrafe aus dem Gefängnis, besuchte sie, beide fielen wieder zurück in die Hände der Droge, sie wurden wenig später auf der Straße aufgegriffen, untersucht und nun geht’s wieder für viele Jahre zurück ins Gefängnis. Ihr kleines 3-jähriges Kind kommt zu den Großeltern, so heißt es. Aber vermutlich ist es sicher bald wieder bei uns.

Aber am Anfang möchte ich kurz meine Ankunft beschreiben, denn die Reaktion der Kinder hier war – tja, wie ich finde sehr interessant. Man muss sich mal vorstellen, ein ganzes Jahr habe ich fast jeden Tag für sie gesorgt, für einige ganz besonders, sie zur Schule gebracht, abgeholt, mit ihnen gespielt, gegessen, ihnen Medizin gegeben, sie versucht zu erziehen und so weiter. Sprich da war eine echte Beziehung zwischen mir und ihnen entstanden. Nun, genau 1 Jahr darauf komme ich wieder zurück, sehe sie, freue mich riesig, rufe sie beim Namen, und sie --- sie, tja, sie schauen auf mich mit einem befremdlich emotionslosen Blick, wie leer, fast mit einem Hauch von Furcht, Furcht vor etwas Unbekanntem, oder gar Ungekannten. Ich sprach sie an, doch sie blickten mich nur an, unschlüssig, was nun zu tun sei. (Ich spreche hier von den 8 – 12 Jährigen, für die ich am häufigsten sorgte.) Meine Theorie hierzu ist, dass diese Kinder schon viele Wechsel von Vertrauens- und Bezugspersonen im Leben durchgemacht haben. Die Rückkehr einer solchen aber eher seltener erfahren haben und sie somit schwer emotional einordnen können. Es dauerte  fast 1-2 Tage, bis sie mich wieder in ihr Leben hineinließen, mich beim Namen nannten, auf meine Fragen eingingen und wieder Vertrauen fassten.
Erstaunlicher Weise habe ich das Gefühl, dass dieses Vertrauen jetzt sogar noch tiefer greift, als letztes Jahr. Denn sie kennen mich und sie wissen, auch ich kenne sie. Das macht es mir in vielen Dingen leichter als den vielen neuen Tanten, Patienten und den wenigen Freiwilligen hier, die uns hin und wieder besuchen.
Was mich bei meiner Ankunft allerdings wirklich sehr berührt hat, war ein kleiner Junge, der bei meiner Abreise damals zwar laufen, aber noch nicht sprechen konnte. Als er mich erblickte, rief er „Sī Tíng!“ (meinen chinesischen Namen), rannte auf mich zu und umarmte mich. Das war sehr süß. Obwohl er mich vorher nie beim Namen nennen konnte, wusste er ihn jetzt plötzlich dennoch!

Zur Feier des Tages in der Gaststätte

Gott sei Dank kann ich bis jetzt sagen, ist die Zeit hier wirklich reich ist an Gnaden, voller Segen von Gott, voller Wiedersehensfreude, ein reines Heimspiel!! Einfach wieder in alte Fußspuren stapfen, mitmachen, flexibel sein, den Tanten zuhören, Streit schlichten, Probleme lösen, die Menschen lieben. Das ist für mich eine echte Freude, die ich im letzten Jahr sehr vermisst habe.
Gleich am zweiten Tag sind wir mit dem halben Heim durchs ganze Land zu unseren Heimen im Süden gefahren. Ihr glaubt gar nicht, was das für eine große Freude war, meine lieben Koma-Patienten wieder zutreffen! Denn viele können nicht sprechen, aber manche können sich durchaus äußern! Da war einer, zusammengekrümmt auf seinem Bett, der magere Körper übersät mit Tattoos, ernährt über einen Schlauch, nur noch Haut und Knochen, die Augen weit eingefallen. Als ich seine verdrehten und bewegungslosen Hände nahm und zu ihm sprach, formte sein zahnloser Mund doch tatsächlich ein Lächeln! Und als ich ihm dann auch noch zum Vatertag gratulierte, zeigte er sogar so etwas wie ein Lachen! Das war sehr bewegend. (Der Vatertag ist hier im August, den die Zahl acht heißt auf Chinesisch „“, der 8.8. also „bābā“ –> klarer Fall von Papa-Tag!)

Natürlich haben meine lieben Kollegen die gleichen Erwartungen an mich, wie vor einem Jahr. Doch dass ich in dieser Zeit eine ganze Reihe von Fächern und Sprachen, aber kein Mandarin studiert habe, mussten sie doch schnell feststellen. Als wir mal wieder durchs ganze Land fuhren, bin ich an nur einem Tag mindestens 5x falsch gefahren, nur weil ich die großen Straßenschilder mit den vielen kleinen chinesischen Schriftzeichen nicht schnell genug auf der Autobahn entziffern konnte! Das war am Anfang zwar lustig, aber bald dann doch eher peinlich. Aber meine Mitfahrer haben es mit Humor genommen.
Ich muss dazu sagen, dass hier jedes Schild, Autobahnabzweig, oder –abfahrt nur 1x angeschrieben wird. Sprich man muss sich jedes Mal in Sekundenschnelle und bei über 100km/h Fahrt entscheiden, wo man eigentlich hin will. Praktisch ist, dass man hier sowohl links, als auch rechts überholen kann! Auch auf der Autobahn. Das hebt den Fahrspaß ungeheuer. ;o) Aber natürlich nur bei Schulterblick, Verkehrsbeobachtung, Gottes Schutzengeln und dem entsprechend hohem Verantwortungsgefühl für die teils HIV-positiven 20 Kinder (ein Drittel im Kofferraum) und 5 Erwachsenen, von denen 2 angeschnallt sind, versteht sich!!

Im Straßenverkehr
Dass aber auch diesmal besondere Situationen nicht zu kurz kommen dürfen, ist natürlich ganz selbstverständlich. So kommt es, dass ich mitten im Taifun, sprich Sturzregen, Sturm und Aquaplaning gleichzeitig, die Kinder durch die halbe Großstadt fahren muss, das Auto noch voll beladen mit von Buddhisten gespendeten Reissäcken (viele Buddhisten sind sehr spendenfreudig und hilfsbereit!), eigentlich (!) gefrorenem Geflügel und Fisch, die sich bei den hiesigen 33°C aufwärts langsam aber ständig selbst vom Eis befreien und riechbar wieder lebendig werden. Das erregt natürlich zunehmend die leidenden Gemüter meiner Mitfahrer, die nicht gerne ihre Füße in Auftauwasser getränkt sehen!
Ich muss dazu sagen, dass dieser Tag gerade ein großer Mondfeiertag ist und deshalb so viel gespendet wurde. Dass gleichzeitig der Kern eines Taifuns über die Insel fegt, sonst eigentlich fast keiner mehr außer Haus geht, alle öffentlichen Gebäude und Schulen geschlossen, sowie ein nationales Arbeitsverbot für diesen Tag ausgesprochen wurde, tangiert uns hier in Harmony Home eher nur peripher. Denn versorgt werden müssen unsere Patienten ja trotzdem und solange unsere alten Autos es noch packen gegen die Sturzbäche auf den steilen Straßen hier anzukommen, gibt es hier keinen Grund den Dienst am Nächsten einzustellen. Eine interessante, aber auch etwas kurzsichtige Sichtweise, wie ich finde. Doch auf Grund eurer Gebete und Gottes Segen kamen Auto, Menschen und Speisen dennoch irgendwann gut am vorgesehenen Platz an.

Blick aus unserem Fenster zur Taifun-Zeit.

Der jetzige Mond-Monat hier ist der sogenannte Geister-, oder auch Gespenster-Monat. Für die Menschen bedeutet das, dass dies der einzige Monat im Jahr ist, wo die Dämonen mal frei haben, um auf der Erde Urlaub zu machen und Unruhe zu stiften. Dementsprechend gibt es hier viele lodernde Brandopferkessel und Speiseopferaltäre vor den Häusern, Umzüge, Paraden und Knaller um diese Geister wieder zu vertreiben und sie freundlich zu stimmen. Einen der größten dieser Umzüge durfte ich mit ansehen. Das war eine äußerst seltsame Kombination aus traditionellem Glauben und Moderne! So wird der uralte Drachentanz (2 Tänzer im Kostüm eines Drachen) jetzt abwechselnd zu traditioneller Musik und dann zu Hip Hop oder Techno getanzt, klassische europäische  Meditations-Musik zu einem atemberaubenden Feuerwerk abgespielt, deutsche Märsche von taiwanesischen Schulkindern in holländischen Uniformen als Militärorchester marschierend dargeboten, gleich nachdem 2 junge Männer als allseits verehrte Götzen verkleidet, auf einem Auto Pogo an der Stange tanzen. Ein äußerst bizarres und befremdliches Bild.
Spannend war das öffentliche Verbrennen von ca. 3m großen Götzenfiguren, was diese wiederum „ruhig stellen“ soll, sowie von „Geisterbooten“, die als schwimmende fast Kleinwagen-große Papp-Tempelchen in den vom Taifun aufgewühlten Pazifik gesteuert werden und trotz des hohen Seegangs in Flammen aufgehen. Waghalsige Schwimmer begleiten sie dabei, ziehen sie weiter ins Meer und versuchen sie vor dem Umkippen zu bewahren. Was allerdings meist nur wenige Minuten lang gelang.

3 Wasser-Feuer-Tempel-Boote

Insgesamt hat sich hier viel und gleichzeitig wenig verändert. Einige neue Heime sind dazugekommen, alte geschlossen worden, einige wenige Kinder sind nach Amerika adoptiert worden, andere zu ihren Angehörigen gezogen und viele neue gekommen. Damals hatten wir durchschnittlich nur etwa 3-5 Neugeborene zwischen 0 und 5 Monaten. Jetzt sind es 20. Viel Personal hat Position und Heim gewechselt, Alte sind gegangen, Neue sind gekommen. Der physische, sowie psychische Status der Meisten hat sich verschlechtert, bei wenigen blieb er gleich. Eine liebe Kollegin, die damals noch kräftig und munter war und gerade aus dem Gefängnis entlassen worden war, wirkt jetzt wie um 30 Jahre gealtert, von Drogen, Medizin und dem HI Virus aufgezehrt, ein Wrack ihrer selbst. Es bereitet trotz dem Schmerz das anzusehen eine innige Freude, gerade solchen Menschen in die Augen zu schauen, ihnen zuzuhören, ihnen Liebe und Mitgefühl zu schenken, sie zu umarmen und zu ermutigen!

Storchennest

Als wir ein 1 Monat altes Neugeborenes auf dem Motorroller zum Arzt brachten, fragte ich die (eigentlich) erfahrene Tante nach dessen Namen. Sie lachte und sagte, sie wisse ja nicht einmal, wer die Mutter sei, woher solle sie denn auch noch den Namen kennen?!  Es wurden einfach zu viele, sie könne sie nicht mehr unterscheiden!
Einen anderen Tag bekamen wir einen aufgeregten Anruf aus dem Krankenhaus. Die Geburt per Kaiserschnitt bei einer unserer Patientinnen sei  Gott sei Dank gut verlaufen, ähm, doch noch am gleichen Tag sei die Mutter einfach verschwunden! Sie hat ihre Sachen gepackt und ist untergetaucht. Jetzt haben die dort das Kind, aber keine Mutter dazu!
Meine Kollegen zuckten daraufhin nur resignierend die Schultern mit dem Zitat: „Offensichtlich ist der Mutter die Droge wichtiger als das Kind.“ Bis heute ist sie leider nicht mehr aufgetaucht. Lasst uns für sie beten!
Einige unserer Patienten spritzen sich auch noch während der Schwangerschaft Heroin. Sie sehen nicht, dass sie damit das Kind automatisch süchtig machen, es nach der Geburt einen eiskalten Entzug durchmachen muss und trotzdem das ganze Leben lang extrem suchtgefährdet sein wird. Lasst uns auch für sie beten!
Eines dieser „Heroin-Babys“ liegt gelähmt, mit Wachstumsstörungen, Asthma und ständigen Krämpfen häufiger in der Intensivstation als bei uns im Heim. Vorgestern stand sein Herz plötzlich still und es musste künstlich weiter am Leben gehalten werden. Die Tante die eigentlich auf es aufpassen sollte, war selber gerade im Rausch ihrer Droge. Gott sei Dank geschah dies im Krankenhaus, so konnte das Kleine sofort versorgt werden.

Unterwegs zum Arzt

Zurzeit versuche ich, wie unzählige Freiwillige vor mir, den Kindern ein klein wenig Englisch beizubringen. Da ich dies aber noch nie im Leben gemacht habe, gestaltet sich das als eine recht spannende und interessante Herausforderung. Das wir am Ende eigentlich eher am Spielen, als am Lernen sind, ist wohl meiner mangelnden Erfahrung, sowie der begrenzten Aufnahmebereitschaft meiner Schüler zuzuschreiben.
Bis jetzt konnte ich leider eine meiner früheren Aufgaben, meine Wohnung als Schlafstelle für die Kinder bereitzustellen, nicht wieder aufleben lassen. Hier leben jetzt einige Patienten, Freiwillige, Ex-Gefangene und andere Menschen, die unter unserem Schutz stehen und deshalb hier nicht näher beschrieben werden dürfen. Anstatt für Kinder nun halt auch für diese Menschen da zu sein ist trotzdem eine Freude.

Zum Abschluss eine kurze Begebenheit mitten im Berufsverkehr. Der 3-jährige DoāDoā sitzt neben mir auf der Handbremse. Als ich ihm beim Warten auf Grün einen Kuss auf die Stirn gebe, ruft er in empörter Erzieher-nachahmender Stimme: „Hey, du kannst doch nich einfach so mein‘ Kopf küssen! [drohend:] Du steigst gleich aus!!“ Ich daraufhin direkt: „Ok!“ und tu so, als wolle ich die Tür aufmachen, da ruft er erschreckt: „Nein! Nicht tun, nicht tun!“ Das war wirklich sehr niedlich.

Alltägliches Bild

Sonntag, 1. Juli 2012

Aus dem Leben

„Sèbàdí!“ hauchte sie und Tränen traten in ihre Augen als sie mich sah.
„Los, ich bring dich zur Notaufnahme!“ sagte ich. Ihre alten eingefallenen Augen reagierten nicht. So saß sie vor mir, schwach an das Gitter gelehnt, das den Kinder- vom Erwachsenenbereich trennt. Mit ihrem bleichen Gesicht und ihrem völlig von Aids ausgemergelten Körper sah sie dem Tod näher aus, als sonst.
Ein Kind hatte ihr beim Spielen mit einem großen, harten Spielzeug auf den Kopf geschlagen. Und nun wechselten sich Ohnmacht und Tränen bei ihr ab. Mit einem anderen Freiwilligen trugen wir sie vorsichtig die Treppe zum Schlafbereich hoch. Sie wollte partout nicht ins Krankenhaus, was ich nach alldem, was sie schon durchgemacht hatte, sehr wohl verstehen konnte.
Eine wirklich abstruse Situation. Die fast 70-jährige Frau liegt wie ein kleines Kind vor mir, schwach und hilflos, kämpft sich von einem Würgeanfall zum nächsten, während ringsherum der Trubel und das Leben des Waisenheimes unbehelligt weitergehen. Kinder spielen, schreien, rennen durcheinander. Auch die anderen Tanten nehmen gar keine Notiz von ihr. In meinem Herzen tobt ein Kampf aus dem Wunsch ihr zu helfen, sie zum Arzt zu bringen, und dem großen Respekt für sie und für ihre Entscheidung hier bleiben zu wollen, was sie auch immer wieder leise flüstert.
Da stotterte sie: „Warum hat mir Gott das angetan? Hab ich etwas falsch gemacht…?“ „Gott will nicht dass du leidest. Gott liebt dich!“ antwortete ich. „…Aber ich weiß ja gar nicht, was es da nach dem Sterben gibt!“ stieß sie heraus. „Wenn du an Jesus glaubst, Ihn liebst, Ihn um Vergebung deiner Sünden bittest und Ihm sagst, dass du gerne zu Ihm kommen möchtest, wirst du mit Ihm im Himmel sein!“ versuchte ich ihr mit meinem absolut brüchigen und schlechten Chinesisch zu erklären. „Wenn du das glaubst, brauchst du keine Angst mehr zu haben!“ fügte ich noch hinzu.
Da kamen 3 von den ältesten Kindern angelaufen und knieten sich zu ihr. Mit erstaunlich verständnisvollen Augen blickten sie auf sie herab. Aber auch ein wenig Furcht stand in ihren Gesichtern. Sie hatten schon viele Patienten in verschiedenen Stadien ihrer Krankheit gesehen. Das jemand am Boden lag, war nicht selten. „Sie wolle allein sein!“ flüsterte sie und so gingen wir, um nach den anderen Kindern zu sehen. Ich setzte mich später mit meiner kleinen Schale Reis in eine Ecke und begann still zu Jesus zu beten. Für sie. Das war vor ca. 2 Monaten. Schon wenige Tage danach hatte Gott ihr wieder Kraft geschenkt und heute dient sie immer noch dem Heim und den anderen Patienten. Dank sei Gott für dieses große Geschenk!


Nachts um halb elf klingelte mein Handy. Meine Chefin: „Du musst unbedingt mit dem Auto rüberkommen! Wir haben gerade einhundert (100!) Torten gespendet bekommen!“ Ich denke an die gut 200 Menschen, die wir versorgen müssen und frage spontan: „Hätte man uns nicht einfach Geld spenden können?“ Doch die Torten waren von einem Gala-Buffet übriggeblieben und viele waren noch völlig unberührt. Bevor wir also sämtliche Kühlschränke und Froster damit vollstopfen konnten, spielten sich Volksfest-ähnliche Szenen auf den Straßen vor uns ab. Wir gaben unseren Nachbarn, diese riefen ihre Nachbarn und Freunde an, und wer sonst noch so vorbei kam bekam auch einfach noch eine Torte in die Hand gedrückt. So kam es, dass an diesem Abend viele Menschen glücklich mit einem Karton unterm Arm nach Hause gingen. Im Übrigen hatte ich mir nach ca. 5 Tagen jegliche Sahnecreme übergegessen und so kommt es, dass sich auch heute noch Überreste von jenem Tag in meinem Froster befinden.

„Ich möchte einige Lebensmittel zu den Gefangenen in Abschiebehaft bringen!“ sagte meine Chefin und drückte mir ein Baby in den Arm: „Und das arme Kind hat seine Mutter dort schon ewig nicht mehr gesehen.“ Der ganze Kleinbus war vollgestopft mit Tütensuppen, Instantkaffee und ähnlichem. So fuhren wir stundenlang durch die engen Straßen von Taipei, nur der Himmelsrichtung statt einer Karte folgend. Nachdem wir unzählige Passanten nach dem Weg gefragt hatten, kamen wir tatsächlich irgendwann an. Warum meine Chefin Navigationsgeräte nicht mag, habe ich bis heute noch nicht herausgefunden.
Dort angekommen durften wir spannenderweise gerade daran teilnehmen, wie hier das thailändische Neujahr gefeiert wurde (erst kurz vor Ostern!). Männer und Frauen stehen sich gegenüber. Große Regenfässer sind vollgefüllt mit Wasser und überall liegen gefüllte Wasserbomben bereit. Nach einer feierlichen Rede, traditionellen Tänzen und dem symbolischen Füßewaschen des Gefängnisleiters und des Botschafters des besagten Landes durch einige Häftlinge, begann der Spaß! Alle stürmten wie wild aufeinander ein und begossen sich eimerweise mit Wasser! Denn je nasser, desto gesegneter, so erklärte man mir.
Zum Glück durfte ich diesem Segen entgehen, da ich in sicherer Entfernung stehend, selbst von den Feuerwehrschläuchen nicht mehr erreicht werden konnte! Natürlich war die junge Mutter überglücklich ihren Kleinen wohlauf zu sehen und in die Arme schließen zu können. Sie fragte mich immer wieder, wann sie denn endlich entlassen werden würde. Doch darauf konnte ich ihr leider keine Antwort geben. (Vor wenigen Wochen durfte sie nun endlich wohlbehalten mit ihrem Kind die Heimreise antreten.)
(aus Sicherheitsgründen kein Original)
Als wir dann später unsere Gaben auf die Zellen brachten, begann meine Chefin ihre Visitenkarten auszugeben, mit dem Kommentar: „Falls ihr mal Hilfe braucht, wenn ihr rauskommt!“ Denn helfen tut sie hier wirklich unglaublich vielen Menschen… Also verteilte auch ich ihre Karte. Da begannen mich die Gefangenen nach meiner Nummer zu fragen. Ich habe in dem Moment wirklich Mitleid mit ihnen gehabt und gedacht, falls die mich anrufen sollten kann ich ja immer noch sehen, ob ich überhaupt etwas für sie tun kann. Wenige Tage später standen dann plötzlich 3 arabisch ausschauende, kräftige Kerle vor meiner Tür. Meine Chefin meinte nur kurz, sie sind heute entlassen worden und haben keine Bleibe für die Nacht, ob sie nicht bei mir wohnen könnten? Ich muss dazu sagen, dass dieses Erscheinungsbild von bärtigen, dunkelbraunen, vom Leben gezeichneten Männern für uns Deutsche einfach sofort an die Bilder von Terroristen aus den Nachrichten erinnert. Ich musste tief schlucken bevor ich die Tür für sie öffnete.
Plötzlich erkannte ich, es ist eine Leichtigkeit Hilfe anzubieten, aber sie dann auch tatsächlich zu leisten ist eine ganz andere Sache. Dank sei Gott waren alle soweit sehr dankbar und freundlich und es gab keine weiteren Zwischenfälle mit ihnen.


Die knapp 600 Mädchen der 10. Klasse starrten mich mit großen Augen an. Selten sprechen hier Ausländer zu ihnen. Und noch seltener Menschen, die vor wenigen Jahren selber noch zur Schule gingen. Kurz zuvor hatte meine Chefin ihnen eins von unseren Aufklärungsvideos gezeigt, welches in Deutschland sicher erst ab 16 angesehen werden dürfte. Es erklärte, dass es das Normalste der Welt sei, schon im Teenager-Alter unzählige verschiedene Sexpartner zu haben. Man solle nur das Kondom benutzen und alles sei fein. Als ich dann endlich sprechen durfte, wurde ich sehr ernst und traurig. Und ich durfte ihnen sagen, dass das eben Gesehene nicht dem entspricht, wofür Mann und Frau geschaffen worden sind. Dass wir Männer uns dies zwar wünschen, Gottes Ordnung aber nicht. Ich habe ihnen gesagt, dass sie aufpassen sollen, dass sie uns Männern nicht so einfach vertrauen sollen. Weil die meisten nur Sex wollen und sich kaum Gedanken machen um die emotionale Bindung einer Frau dadurch an ihn. Kondome können kaputt gehen. Und wenn man sich mit dem HIV einmal infiziert hat, wird man damit leben und sterben. Es ist bis heute nicht heilbar.
Ich habe sie an die vielen Koma-Patienten erinnert, die im Endstadium von Aids bei uns liegen. Viele ehemals erfolgreiche Männer und Frauen, die sich vielleicht durch einen kleinen Fehler im Leben infiziert haben. Manche noch in jungen Jahren, bei denen zu spät die richtige Diagnose gestellt wurde. Andere am ganzen Körper übersät mit Tattoos, wieder andere mit Narben im Gesicht, gezeichnet vom harten Leben auf den Straßen dieser Welt. Jeder trägt die freie Verantwortung für sein Leben. Aber am besten ist es, bis zur Ehe zu warten. Das kann man oft nicht von allein, aber Gott kann einem die Kraft dazu schenken, wenn man Ihn nur darum bittet.

„Ich musste heut um 3 Uhr nachts wegen ihm auf die Polizeistation!“
beschwerte sich meine Chefin. „Es wurde schon wieder ein Motorroller hier in der Gegend gestohlen!“ Der 16-jährige hat sein ganzes Leben schon mit seiner scheinbar vererbten Kleptomanie zu kämpfen gehabt. Doch selten verschwanden größere Dinge wie diese.
Wenige Tage darauf fuhr ich gerade nach einer gefühlten 20-Stunden-Schicht mit dem Rad nach Hause. Da sehe ich doch genau den besagten Jungen, wie er gerade ein frisch gestohlenes Motorrad ausparkt! In absoluter Wut baue ich mich vor ihm auf und schreie ihn an, wo er denn das herhabe, was er sich denn denke und wie er seiner Ziehmutter (also meiner Chefin) so etwas überhaupt antun könne! Er bleibt nur völlig cool und sagt mit einer absoluten Unschuldsmiene, ein Freund habe ihm den Zündschlüssel gegeben. Wahrscheinlich hatte ihn meine Wut verunsichert, denn sonst wäre er sicherlich einfach auf und davon gefahren. Doch so blieb er einfach auf dem Motorrad sitzen, unschlüssig, was denn nun zu tun sei. Natürlich reagierte er auf keine meiner Anweisungen und so rief ich die nächst beste Tante an, um herzukommen und den Fall zu regeln. Die kam tatsächlich auch eine Viertelstunde später angeschlurft, doch leider völlig auf Methadon, der legalen (!) Ausstiegsdroge für Heroinsüchtige. Die Situation, wie sie da so mit nur halb geöffneten Augenlidern lallend auf ihn einzureden versuchte, wogegen er natürlich nur um so selbstsicherer dagegen argumentierte, war so komisch, dass ich mir fast ein Lachen verkneifen musste. Trotz allem ist sie eine echt erfahrene Pädagogin, und es gelang ihr tatsächlich, ihn dazu zu bringen nachzugeben. Leider blieb das nicht seine letzte Straftat und so musste er wenig später für einen Monat ins Jugendgefängnis.

unterwegs: Eingangstor zum Tarokko-Nationalpark
„Schwimmen verboten!“ (Chinesisch: „Bitte nicht mit Wasser spielen!“) sagen die vielen Schilder den schwarzen Strand entlang. Doch wir sind den ganzen Tag für unsere Aids-Awareness-Tour Radgefahren und wollen uns gerne etwas erfrischen. Tatsächlich geht es schon tagelang an der wunderschönen Pazifikküste Taiwans entlang. Immer wieder senden wir Fotos an die Presse und machen Interviewtermine mit verschiedenen Zeitungen aus. Wir wollen damit auf die schlimme Situation unserer Patienten aufmerksam machen und ein Bewusstsein für HIV/Aids in der Gesellschaft wecken.
Es ist schon fast dunkel und die Hitze immer noch erdrückend. „Naja, Schwimmen können wir, und wenn wir zu zweit reingehen, kann ja einer den anderen retten!“ sagen wir uns und waten langsam in den, an diesem Abend sehr stürmischen Stillen Ozean. Schon nach wenigen Metern machen die vielen Steine das Gehen schwer. Das Wasser ist schwarz wie der Sand, der seine Färbung dem Vulkanischen Ursprung der Insel zu verdanken hat. Ein kräftiger Wind weht uns salzig schmeckende Tropfen ins Gesicht. Plötzlich schreit mein Kollege laut auf. Der starke Seegang hatte die Steine unter uns an seine Füße geworfen und er blieb abrupt stehen. Ich will noch nicht aufgeben, schwimme etwas weiter, finde Grund unter mir zum Stehen und rufe ihm zu: „Komm her! Hier drüben kann man Steh…!“ Und in genau diesem Moment sehe ich nur noch aus dem Augenwinkel die riesige Welle, die sich hinter mir aufgebaut hat, meinen Kopf weit überragt und mich einfach mitreißt. Überall fliegen faustgroße Steine wie Geschosse umher. Selbst mein Freund, der ja näher dem Strand stand, wird umgehauen. Als wir wieder Halt finden, humpeln wir so schnell es geht dem rettenden Ufer entgegen. Weitere Steine schlagen uns an Knöchel und Beine. Als wir endlich draußen und in Sicherheit waren, sahen wir uns an und mussten plötzlich lachen, über unsere Dummheit und unseren noch eben viel zu großen jugendlichen Leichtsinn. Mein Freund blutete leicht aus seiner Seite und hatte einige böse Schürfwunden an seinen Beinen. Bei mir hatte es Schienbein und Fuß erwischt, aber uns war klar, dass es auch der Kopf hätte sein können.
Dank sei Gott sind wir trotz unserer Unvorsichtigkeit auch hier wieder vor Schlimmerem bewahrt geblieben!

Am nächsten Tag fiel das Radfahren schwer. Doch wir nahmen uns nur eine kürzere Strecke vor und machten uns auf den Weg. Doch wie es halt so ist, wurde spontan die Route geändert und wir nahmen statt der flachen Küstenstraße den einzigen Weg, der die Bergkette zwischen Ost- und Westtaiwan überquert. Das bedeutet ca. 15km steil bergauf, ohne Pause, ohne flache Strecken und sogar ohne schöne Aussicht, da abwechselnd dichter Regenwald oder dichter Nebel die Sicht verdeckten. Doch was ich hier vom taiwanesischen Volk erlebte, werde ich so schnell nicht vergessen.
Pause am Straßenrand: nette Langustinen-Verkäufer

Die normalen Menschen in den Häusern, die Verkäufer an der Straße, ja oft sogar entgegenkommende Motorrollerfahrer feuerten uns an und hupten uns aufmunternd zu! Selbst als nach einer gefühlten Ewigkeit plötzlich der Asphalt aufhörte und zur aufgerissenen Schotterstraße wurde, waren es sogar die ganz normalen Bauarbeiter, die uns zuriefen durchzuhalten! „Nur noch 1,5km, dann seid ihr oben!!“ rief einer. Aber irgendwie konnte ich das in dem Moment nicht als positive Nachricht auffassen…

Der 4-jährige hat gerade sein kleines Geschäft gemacht und will gleich wieder zu den anderen spielen gehen. Ich kann ihn gerad noch fassen:
Ich: Haaalt! Was macht man denn immer nachdem man auf dem Klo war?
Er: (überlegt kurz)… äh… Spülen! (läuft, und betätigt Spülung; will
rausrennen)
Ich: … und was noch?
Er: hmm… Deckel zu! (läuft und macht ihn zu)
Ich: Ja, aber war da nicht noch etwas?
Er: (guckt nur fragend)
Ich: Was macht man denn jedes Mal, wenn man aufs Klo geht?
Er: Na Pullern!
Ich: Ja, und danach?
Er: Rausgehen!
Ich: … und davor?
Er: Reinkommen!
Ich: (muss lachen), Mensch, Hände waschen! Los jetzt! 

Samstag, 25. Februar 2012

Kurzgeschichten





Lange schon habe ich hier nichts mehr geschrieben. Vielleicht auch, weil sich die Dinge kaum verändert haben. Der Alltag bleibt abwechslungsreich und herausfordernd. Die Kinder bleiben ungehorsam, Chinesisch schwierig und die Kultur schwer verständlich.
Trotzdem möchte ich heute eine Reihe von Begebenheiten und kleinen Geschichten erzählen, die teils verbunden, teils unabhängig voneinander passiert sind und die nicht ungehört bleiben sollen.

Mein Kollege: „Gestern ist ein Patient im Mc Donalds gestorben!“ Ich darauf: „In Mc Donalds??“ Er: „Ja, goldener Schuss.“
(Anmerkung: Auch wenn wir bemüht sind unsere Klienten von jederlei illegalem Drogenkonsum fernzuhalten, gelingt uns das bis weilen leider nur teils. Die Vergangenheit holt sie ein, und damit leider auch die Droge.)

„Wenn man dich ansieht, fallen die Vögel tot von den Bäumen und die Fische nehmen Reißaus!“ Tja, was sich für einen Europäer wie eine üble Beleidigung anhört, ist hier ein riesiges Kompliment! Denn die durch die unbeschreibliche Schönheit einer Person werden die Vögelein zu Tode geblendet und die Fischlein schwimmen davon! Derartige Redewendungen gibt es häufig im Chinesischen. Wenn man zum Beispiel einen Freund trifft, fragt man zwar auch wie es ihm geht, aber gleich darauf: „Hast du schon gegessen? Bist du satt?“ Das heißt nicht, er will dich zum Essen einladen, sondern ist reine Höflichkeit. Da ist man als ahnungsloser Ausländer manchmal schon ganz schön verunsichert. Wie gut, dass es dafür Sprachkurse gibt!

Unsere kleine 4-jährige in der Schwimmhalle zum Bademeister: „Schau mal, das da drüben ist meine Mama und der dort, der ist ihr Mann!… Ja, äh und die 12 Kinder um ihn herum sind alle seine!“
Erklärung: Die „Mama“ ist eigentlich eine unserer (verheirateten!) Tanten, der Mann bin ich und die Kinder sind meistens Halb- oder Vollwaisen. Interessanterweise sprechen die sich untereinander fast nur als Brüder- und Schwesterlein an. Ich werde jedoch nicht als Papa, sondern wahlweise als Onkel, als Bah-Säh-Dii oder als Mann ihrer jeweiligen Mutter angeredet. Die Kleineren verstehen das noch nicht und rufen mich deshalb häufig einfach „Ehemann!“. Das führt dann, gerade wenn ein Junge ruft, häufig zu Gelächter.  
Fast jedes Kind sucht sich immer für eine Zeit lang eine der Tanten als „Muttertante“ aus. Wer mal besonders lieb war, oder das Kind beschützt hat, wird ganz schnell zur „Mutter“.


Beförderungslogistik:
5 Sitze, ein Kofferraum, 15 Kinder, 8 Erwachsene, keine Gurte, Berufsverkehr, ein Ziel.
Ja, es ist möglich. Und nach ca. 20min schreien auch die meisten Kinder nicht mehr, sondern sind bei der stickigen Luft eingeschlafen. Ich sitze irgendwo eingezwängt hinten im Kofferraum (Kombi) und ärgere mich schwarz, dass ich gestern in der Schule nicht aufgepasst, und mir die Wörter „Fenster“ und „öffnen“ nicht eingeprägt habe.
Aber auch so eine Fahrt geht nach ca. 1,5 Stunden mal vorüber und was danach kommt wird fast noch schlimmer: Ein Galabuffet irgendeiner politischen Institution, die sich natürlich nicht lumpen lässt und auch ein paar sozial Benachteiligte, wie uns zum Beispiel, dazu einlädt. Kindersitze können nach der ersten halben Stunde doch noch irgendwoher besorgt werden, doch die Kristallgläser, die teuren Porzellanteller und –schalen, sowie die Glastische sind nun der Willkür, der nur an Plastik gewöhnten Kleinen, völlig ausgesetzt. Neben diesem Chaos moderiert noch die ganze Zeit jemand in ohrenbetäubender Lautstärke sein Wahlkampfprogramm munter rauf und runter, was nur von dem auf jeden 2. Satz folgenden kräftigen Applaus der kompletten Zuhörerschaft kurz unterbrochen wird.
Später hat natürlich wieder einmal keiner daran gedacht Ersatzwindeln einzupacken, was die Rückfahrt nicht gerade leichter macht. Das einzige Glück: ich darf dieses Mal ohne 2 oder 3 Kinder auf dem Schoß sitzen, denn alle Autofahrer hatten zu dem teuren Wein auf dem Tisch nicht nein sagen können und wurden deshalb flugs auf die hinteren Plätze verdrängt. Somit musste ich den Platz links vorne einnehmen.
Bei der Diskussion mit einem 12-Jährigen während der Fahrt, welches denn nun der richtige Weg nach Hause sei, fiel meine Entscheidung leider eine Millisekunde zu spät. Denn in diesem Zeitpunkt schaltete meine Ampel auf Rot, welches, anders als in Deutschland, hier schon automatisch als „grün“ der kreuzenden Spur verstanden wird. Ich konnte gerade noch bremsen (was durch ein mind. 20-stimmiges erschrecktes und ärgerliches Aufmurren hinter mir kommentiert wurde), da wurde ich mitten auf der Riesenkreuzung schon von einem unüberschaubaren Schwarm von Motorollern, Klein- und Lieferwagen eingekesselt und von allen Seiten fleißig angehupt. Ich erwischte mich in diesem Moment auf dieser gefühlt zehnspurigen Straße bei dem Gedanken, ob mir mit Kindergeschrei hinten im Kofferraum Sitzen nicht vielleicht doch angenehmer sein würde. Verwarf ihn aber ganz schnell wieder.
Dank sei Gott erreichten wir dann doch noch irgendwann über ungezählte Umwege unser Ziel.
Ich bin wie schon oft Gott äußerst dankbar, dass es Ohrstöpsel, Kaffee, Kopfschmerztabletten und Schokolade gibt. Und ich frage mich, wie Menschen auf anderen Erdteilen ohne all diese Hilfsmittel mit mehreren Kindern auf einmal klarkommen können.

Gott füttern: Auf dem kleinen Regal in meinem Zimmer steht das wunderschöne Bild von Jesus Christus (Titelbild vom Gebetsheft „Wahres Leben in Gott“). Nun hatte ich beim Umräumen gerade ein paar Süßigkeiten vor dem Bild abgelegt. Als dann der 7-Jährige abends neugierig in mein Zimmer trat, wurden seine Augen ganz groß und er sagte: „Hey, das kenn‘ ich! Du fütterst Gott, nicht wahr?!“ …=)
Meine Antwort, dass Gott kein Essen, sondern vielmehr unsere Liebe und unser Vertrauen haben möchte, war für ihn leider kaum begreifbar. Später erklärte mir eine Einheimische, dass man hier tatsächlich oft Obst, Speisen und Getränke vor Götzen-, oder auch Ahnenaltären aufstellt, um diese im Jenseits zu füttern. In der folgenden Zeit habe ich das sehr häufig hier erlebt. Besonders zum chinesischen Neujahr und ähnlichen Festtagen.
Als ich dann bei Freunden zu Tisch saß und plötzlich solche „Opferspeisen“ auf meinem Teller wiederfand, noch teilweise bedeckt von dem Staub der okkulten Räucherstäbchen, eröffnete sich mir eine viel tiefere Bedeutung des Betens vor dem Essen. Denn mir wurde bewusst, auch was vorher anderen Mächten geweiht wurde, kann nichts gegen den Segen dessen vermögen, dem „alle Macht gegeben ist, im Himmel und auf der Erde“ (Mt 28, 18), Jesus Christus.


Meine Chefin sandte mich mal für ein Wochenende nach Hong Kong um dort um Spenden zu werben. Bei einem Sportfest in einem Super-Reichenviertel haben wir schon jahrelang immer einen Stand, verteilen Flyer, verkaufen Spielzeug und werben für Kinderpatenschaften. Leider war die Spendenbereitschaft der Menschen dort erschreckend minimalistisch. Doch wenn ich in ihre Augen schaute, fand ich die Leere und Traurigkeit darin sogar noch schockierender. Sie leben dort in einer perfekten Welt, in der für Schönheit und Luxus offenbar alles gegeben wird. Doch für die wahren Werte menschlichen Zusammenlebens wie Glaube, Liebe, Hoffnung, Vertrauen, Frieden usw. schienen diese Leute dort leider blind zu sein. Wie traurig.


„Immer der Polizei nach!“ Das war die Anweisung meiner Chefin als ich am Steuer saß und der völlig betrunkene Teenager sich hinten unter dem Sitz zu verstecken versuchte.
Das sollte nicht das erste Mal bleiben, dass die Polizei bei uns aufkreuzte. Leider können manche unserer Schützlinge die kriminelle Vergangenheit nicht abschütteln, die ihnen von ihren oft drogenabhängigen Eltern anerzogen worden ist. Daher kommt es, dass meine Wohnung unter der Woche jeden Abend zu einer kleinen Jugendvollzugsanstalt mit strengen Regeln wird, ich mein Zimmer nachts immer abschließen und mir Geld und Kreditkarte eng um dem Bauch schnallen muss, um niemanden in Versuchung zu führen.
Dank sei Gott ist mir bei all dieser Verantwortung bis heute kaum etwas Ernstes zugestoßen. Die größte Herausforderung sah ich darin, bei aller Macht und Kontrolle die Nächstenliebe plötzlich nicht zu vergessen. Außerdem habe ich mich dabei häufig am Abend gefragt, ob ich hier eigentlich noch der Diener meiner Schutzbefohlenen bin, der zu sein, ich eigentlich herkam. Vielleicht ist es aber auch gut, noch ungeklärte Fragen zu haben. Sonst könnte mein Alltag ja gar dazu tendieren langweilig zu werden! ;-)

Im Großen und Ganzen betrachtet bin ich aber wirklich sehr zufrieden und dankbar für alles, was Gott mir hier an Erfahrung, Herausforderungen und Strapazen schenkt. Es ist eine so spannende und auch gefährliche Zeit, wie ich sie selten erleben durfte, in der ich mich aber auch wie selten so sehr durchs Gebet und durch Gottes Segen gestützt und getragen erleben darf.

Dienstag, 15. November 2011

Schwarzes Licht; Tödlicher Nebel!


Als ich das Zimmer betrat stieg beißender Rauch in meine Nase. Das Schwarzlicht der Notbeleuchtung erhellte nur spärlich den Raum. Die Betten waren leer. Wo sonst die Kinder spielen - gähnende Lehre. Die Küche schien fluchtartig verlassen worden zu sein. Überall schmutzige Schüsseln und sogar angefangene Teller. Mein Blick fiel sofort auf den offenen Sicherungskasten der ungewohnt schwarz aussah. Ich wusste, dass es gestern im 2. Stock kurz gebrannt hatte. Eine Steckdose war auf einmal beim Saugen explodiert. Schnell hastete ich dorthin die Treppe hinauf. Mein erster Blick fiel auf das Sofa wo sonst immer die chinesische Oma mit den Babys saß. Heute war es leer. Eine erdrückende Stille lag in der Luft. Eine Stille, die ich in den 3 Monaten hier noch niemals erlebt hatte. Irgendwo hörte ich ein paar dumpfe Schritte und Menschen sprachen hastig miteinander. Dann verstummte alles.

注意! -  ACHTUNG!
Auf einmal sah ich es. In der Mitte des Raumes, fast unscheinbar, stand die schwarz-rötliche Dose mit Giftgas. Hochkonzentriertes und auf jedes kleinere Tier tödlich wirkende Giftgas. Dahinter noch eine Dose, und weiter hinten noch eine. Die kleine Pfütze daneben lies darauf schließen, dass hier eine völlige Überdosis angewandt wurde.
Sofort ergriff ich panikartig die Flucht und stürzte mit angehaltenem Atem die Treppen hinunter zurück ins Freie. Trotz der vom Regen feuchten Luft spürte ich das starke Brennen in meiner Kehle. Ein Schwindelgefühl hüllte mich ein und ich beugte mich weit über den Balkon um möglichst viel unverseuchte Luft erhaschen zu können.
Auf einmal wieder Schritte, Stimmen. Ein alter Mann kam plötzlich mit vors Gesicht gehaltener Jacke rausgerannt. Ich erkannte ihn, es war unser Nachbar. Er schrie nur: "Nicht einatmen! Bloß nicht einatmen!!!" Suchte irgendwas in der Küche und rannte wieder zurück in den von grau waberndem Nebel durchzogenen Raum.
Ich war so überrascht, dass ich ihn nicht einmal hätte stoppen können.
Meine Knie waren weich Gummi. Ich setzte mich an den Rand der Brüstung und dachte nach. Warum hatte mir unsere Chefin nicht Bescheid gesagt? Warum sah alles so fluchtartig verlassen aus? Was hatte der offene Sicherungskasten zu bedeuten und vor allem, welche Rolle spielte dieser Mann dabei?
Fragen über Fragen, auf die ich in dem Moment einfach keine Antwort wusste. Er schien meine Hilfe nicht zu benötigen, sonst hätte er mich sicherlich dazu aufgefordert. Fragen konnte ich gerade auch niemanden. Selbst die sonst befahrene Straße war in diesem Moment völlig menschenleer. Nur auf den Balkons wurde Wäsche, vom Regen durchtränkt, vom Wind hin- und hergeworfen.
Ich spürte das mein Körper jetzt erstmal dringend Energie brauch. Schnell suchte ich mir aus der auf dem Balkon befindlichen (und somit höchstwahrscheinlich nicht vergasten - verzeiht mir den Ausdruck) Küche ein karges Mahl zusammen. Dabei überlegte ich. Da das Haus an den Berg heran gebaut war, gab es oben noch einen weiteren Eingang. Nur dort konnten die Stimmen hergekommen sein, denn im Haus konnte sich keiner mehr aufhalten.
Ich lief die Straße dorthin hinauf, als mir plötzlich eine Erwachsene aus unserem Haus entgegengestolpert kam. Ihr Keuchen konnte ich schon von Ferne hören. Sie starrte mich mit völlig blutunterlaufenen Augen und bleichem, eingefallenem Gesicht an und versuchte irgendwie zu sprechen, doch die Stimme versagte ihr. Stumm zeigte sie nur immer wieder panisch auf unser Haus und versuchte mich energisch davon wegzuschieben. (Das muss sehr komisch ausgesehen haben, hat mir in dem Moment jedoch eher Angst eingejagt.) Mit Zeichensprache erklärte sie, sie sei dort drinnen beinahe verreckt. Als sie dann versuchte den Namen meiner Chefin auszusprechen kam nur ein furchterregendes Krächzen aus ihrer Kehle.
Nun endlich griff ich zum Handy um eben jene anzurufen. Natürlich war mein Guthaben fast leer und die 1. Nummer besetzt. Als ich sie dann endlich sprach sagte sie nur: "Ja äh, du kannst heut später anfangen, sind keine Kinder da!" Als ich ihr von der armen Frau vor mir berichtete, da sagte sie nur verärgert, sie hätten versucht sie zu warnen und mitzunehmen, aber diese wollte partout nicht hören und blieb stur im Haus sitzen. Leider nimmt sie gegen jedes Verbot weiterhin Drogen und ist deshalb mental leider nur noch auf der Höhe eines Kindes. Ich wollte sie auf dem Gepäckträger ins naheliegende Krankenhaus zu fahren, doch sie lehnte entschieden ab. Sicherlich hat sie Angst davor das die Polizei eingeschaltet werden könnte.
Als ich nun dort am Rande der steilen Bergstraße stand und sie durch den Regen davonstolpern sah, fühlte ich mich irgendwie völlig im falschen Film. 
Aber es war die Realität und nun musste ich endlich herausfinden was es mit den Stimmen und dem aufgeregten Mann auf sich hatte.
Als ich schwitzend oben ankam sah ich wieder dieses tückische Schwarzlicht die Räume durchfluten. Schon vom Fenster aus starrten mich die kaum Coladosen-großen Giftbüchsen mit dem fies grinsenden Totenkopf darauf an. Sofort wusste ich, hier war keiner mehr. Mein Blick fiel plötzlich auf die flüchtenden Kakerlaken um mich herum, die, mal stolpernd, mal am Boden kriechend das Haus verließen. Manche drehten sich auf der Stelle, andere lagen die Beine in die Luft gestreckt auf dem Rücken und kämpften ihren letzten Kampf. Diese Todesstimmung ließ mich intuitiv fragen, ob wir Menschen wirklich all diese kleinen Tiere so qualvoll sterben lassen müssen.
Aber ich wollte der Sache auf den Grund gehen. Mit der immer griffbereiten Smogmaske bewaffnet und mit gehörigem Respekt betrat ich nun von oben das Haus. Ich schrie in die Stille hinein, doch niemand antwortete mir. Ich zuckte zusammen als unten plötzlich ein altes Telefon schellte. Doch da mir der Qualm so sehr in den Augen brannte und das Haus nun wirklich völlig menschenleer zu sein schien, ging ich schnell wieder ins Freie. Beinah wäre ich hier auf eine mindestens Daumen-große Kakerlake getreten, die den Kampf gegen das starke Gift noch nicht verloren hatte und sich mühsam vorwärts schleppte. Der Anblick dieser leidenden Kreaturen erweckte in mir ein Gefühl von Ärger und Mitleid zugleich. Doch als ich sah, wie dieses ausgewachsene Exemplar sich plötzlich an mein Hosenbein klammerte, schwand jedes Mitgefühl und es landete im hohen Bogen im Steinhaufen gegenüber.
Kurz darauf kamen meine Kollegen zurück. Der Wind hatte jedoch unsere Außentür zugeschlagen und natürlich hatte wieder einmal niemand einen Schlüssel. Also musste ich wohl oder übel noch einmal komplett durch unser völlig vernebeltes Geisterhaus um die Türen unten von innen zu öffnen. Dabei sah ich die ganzen Mücken, Motten und Käfer auf den Boden verstreut regungslos daliegen.

Sie betraten das Haus, öffneten 2 von 6 (!) Fenstern, und fingen sofort an aufzuräumen und zu putzen. Schnell hob ich unsere Schiebetür aus den Angeln und öffnete die Fenster um so viel Frischluft wie möglich hereinzulassen.
Später beim Saugen kam noch 3 Mal die Sicherung, doch gebrannt hat Dank sei Gott diesmal nichts. Das Schwindelgefühl verschwand nach einem Weilchen, doch dieses seltsame Brennen in meiner Kehle hielt noch an bis zum nächsten Morgen. Fast unwirklich schien es mir als nur wenige Stunden später wieder die Kinder genau an dem Ort spielten, vor kurz zuvor noch das Gift ausgelaufen war. Es wurde nur einmal kurz gesaugt und durchgewischt und das wars. Später sagte mir jemand das das Haus hier alle paar Monate evakuiert und dann eingegiftet wird. Hoffentlich sind die Kinder schon dagegen resistent dachte ich. Doch diese streiteten und spielten wie eh und je und machten nicht das geringste Anzeichen von irgendetwas Besonderem. Später fand ich noch in hinteren Räumen einige weitere Giftdosen, die ich dann schnell entsorgte. Ich bin froh das ich sowas in Deutschland noch nicht gesehen habe, bin mir aber sicher das es das auch gibt, wenn auch nur in abgeschwächter Form.
Die abhängige Frau sah heute (einen Tag darauf) übrigens schon wieder viel besser aus, nur ihre Stimme brauch wohl noch etwas länger um sich zu erholen.

Liebe Grüße und Gottes Segen aus dem frühlingshaften Taiwan! =o) 
Euer MazBasti ><>

Dienstag, 18. Oktober 2011

Der Alltag

Chinagong als "Glöckchen" in der Heiligen Messe. Mächtig gewaltig!
Ich möchte diesmal etwas mehr zu meiner Arbeit sowie meinem Alltag schreiben. Dabei muss ich mich sehr bemühen nur Dinge zu sagen, die nicht unter Datenschutz stehen. Denn die aidskranken oder HIV-positiven Menschen hier in Taiwan unterliegen einer ähnliche Diskriminierung wie damals vor 2000 Jahren die Aussätzigen in Israel. Man muss sich das so vorstellen: Ein Neugeborener hat einen kleinen Tumor am Hals, weil die Mutter schwer drogenabhängig ist. Beide sind HIV-positiv. Da die Ärzte das wissen, verweigern sie die eigentlich einfache Operation die nötig wäre den Tumor zu entfernen. Nun liegt der mittlerweile ca. 4 Monate Alte fast gelähmt mit verkrümmter Wirbelsäule in seinem Kinderbett und weint und schluchzt die ganze Zeit, ringt um Atem oder schläft.
Ein anderes Beispiel: Ein erwachsener Aidskranker soll geröntgt werden. Natürlich weiß jedes medizinisch gebildete Personal, dass sich der HI-Virus nur über Blutkontakt und Körperflüssigkeiten (Speichel ausgenommen) übertragen kann. Dennoch traut sich keiner in dem Krankenhaus den Kranken auch nur zu berühren! Unser eigenes Personal musste kommen um ihn in die Röntgenposition zu bringen!
Letztes Beispiel: Ein kleiner Junge (7 Jahre) kommt hier in die 1. Klasse. Die Lehrer erfahren aus seinen Unterlagen das er aus Harmony Home (meinem Projekt) kommt. Sie wissen das das irgendwas mit Aids zu tun hat und was machen sie? Sie schmeißen den Jungen sofort raus aus der Schule!
Aus Angst vor den Eltern der Mitschüler (und aus eigener Angst denke ich)! Da haben wir natürlich Druck gemacht, denn der Junge hat ein gesetzliches Recht auf Bildung. Nun sitzt er die meiste Zeit in einem menschenleeren Aufenthaltsraum und muss alleine irgendwelche Aufgaben lösen. Nach der Schule wird er von einem Lehrer persönlich bis zur Pforte begleitet, wo ich ihn dann umarme und aufs Fahrrad setze. Das ist Diskriminierung pur! Natürlich versteht das der Kleine nicht und ist dementsprechend verwirrt und gereizt den ganzen Tag.
Zum Glück hat meine Chefin jede Menge Einfallsreichtum um den Betroffenen irgendwie zu helfen. Ich muss da immer staunen. Seit 2 Tagen darf der Kleine nun auf einmal regulär am Unterricht teilnehmen. Warum? Das weiß keiner so ganz genau... ;)

Nun zu meinem Alltag. Ich lebe immernoch in der recht geräumigen Wohnung vom Anfang. Zusammen mit einem sehr stillen 15-jährigen Koch-Azubi der auch Kung Fu macht (also mir sehr ähnlich ist), und 1 - 2 kleinen Kindern (6-10 Jahre). Um 5h muss ich aufstehen um das Frühstück für die beiden zu zubereiten. Da gibt es entweder Rührei mit Reis, eine Herzhafte chinesische Tütennudeludelsuppe oder (ganz europäisch) einfach Sandwich.
Einer von beiden bekommt früh und Abend seinen Medikamentencocktail aus mind. 3 verschiedenen Bestandteilen verabreicht, um die HI-Virusmenge im Blut so gering wie möglich zu halten und den Ausbruch von Aids (allgemeine Immunschwäche) so weit wie möglich nach hinten zu verschieben.
Die kleinen Kerlchen aufzuwecken dauert ganze 10min oder länger. Denn natürlich wollen die nicht aufstehen und zur Schule gehen. Da bedarf es schon jeder Menge Geduld und Einfallsreichtum meinerseits. Leider habe ich beides (noch) nicht, haha. Aber ich arbeite dran. ;)
Nachdem beide gegen 7.30h in der Schule sind, muss ich die Wohnung putzen. Ich hätte nie gedacht, dass Kinder derartige Schmutz-Produzenten sind! Aber der 16jährige auch! Letztens hat er mit unseren Daunenkissen als Zielscheibe seine Wurfmesser-Technik verbessert als ich nicht da war! Ein unglaubliches Federmeer war das Ergebnis. Der halbkaputte Mini-Staubsauger ohne Beutel (!) hatte da ganz schön damit zu kämpfen.
Danach habe ich Zeit bis kurz vor 12 Uhr. Hier treffe ich manchmal meinen taiwanesischen Tandempartner, der Dank sei Gott sehr gut Deutsch, Englisch und Chinesisch kann, gehe einkaufen oder mache Sport.
Danach hole ich den 7j. von der Schule ab. Das klingt einfach, bedeutet aber, dass ich irgendwie versuchen muss ihn davon zu überzeugen auf meinen (wirklich bequem gepolsterten!) Gepäckträger zu steigen. Er will irgendwie immer mit Taxi fahren. Natürlich geht das nicht. Durch meine noch immer äußerst schlechten Sprachkenntnisse hört sich unsere fast tägliche Konversation ungefähr so an:

Junge(J): (schreit) Ich will nicht mit dem Fahrrad fahren!! Ich will ein Taxi!
Ich(I): Taxi nix Geld. Fahrrad!
J: Taxi! Taxi! Taxi!
I: Du haben Geld Taxi?
J: Nein! Du sollst das Taxi bezahlen!
I: Aber Fahrrad dort!
J: (schreit nur)
I: (motivierend) Du Supermarkt Essen kaufen! Wir zusammen!
J: Hab keinen Hunger!
I: Trinken kaufen!
J: Hab kein Durst!
I: Was willst kaufen?
J: Taxi!!!
[...]
Der Junge mag keine Fotos, deshalb schaut er weg. ;)

Tja, was ich dann mache? Das selbe System anwenden, was auch die Tanten auf Arbeit tun. Langsam bis 3 zählen, und wenn er dann nicht mitkommt ihn anbrüllen. Dann kommt er. Schreiend. Ich mag das gar nicht, aber leider sind die Kinder hier damit groß geworden und reagieren fast nur darauf. Wenigstens schlage ich sie nicht mit den Kleiderbügeln wie es andere tun.
Ich fahre dann irgendwann mit dem Jungen (plus Ranzen) auf dem Gepäckträger, meinem (immer schweren) Rucksack am Lenker und einem 2. Fahrrad in einer Hand (was nur rückzu gebraucht wird) zum großen Haus.
Hier gibts dann Mittag. Reis ist immer dabei und die Grundlage. Dazu kommt viel zu weich gekochtes Gemüse, manchmal Meeresfrüchte, immer tollen Fisch und manchmal etwas Fleisch. Allerdings meist die Teile, die wir in Europa eigentlich nur für Suppen oder gar nicht verwenden würden. Ich habe letztens z.B. Hahnenkamm und Hühnerfüße (ja, die Füße!) gegessen ... mir wird jetzt noch schummerig. War halt total glibberig, aber ausreichend mit Knoblauch gewürzt, sodass es auch schmeckte. Nur die vielen Knöchelchen und die Krallen an den Füßen störten irgendwie beim Essen. lol.
Nun kommen 2 entspannte Stunden, da hier im großen Haus nur die Windelkinder da sind und die meisten von denen gerade Mittagsschlaf halten. Dann putze ich meist irgendwas oder ruhe mich auch mal kurz mit aus.
Spätestens ab 15.30 Uhr beginnt dann die anstrengende Zeit des Tages. Denn dann sind nicht nur die Kleinen wieder wach, sondern die ganzen älteren Kinder (bis ca. 12 Jahre) kommen aus der Schule zurück. Wir sind dann ca. 20 - 40 Kinder (keine Ahnung wo die fehlenden immer sind) und ca. 4 - 8 Betreuer. Von diesen sind die meisten mehr oder weniger drogenabhängig, selber aidskrank oder Immigrationsfälle. Letzteres bedeutet sie werden nur in Taiwan geduldet, wenn sie in einem sozialen Projekt leben und mitarbeiten. Das Amt kontrolliert monatlich ob sie noch da sind. Letztens sagte mir eine von denen, wenn sie in ihr Land zurückkehren würde (Inseln in der Nähe, die ich ihr zu liebe nicht benennen will), würde sie und ihre Familie in große Schwierigkeiten geraten. Sie hatte wohl auch keine so saubere Vergangenheit dort...

Ungefähr 4 Tage altes Neugeborenes einer netten, aber psychisch kranken Rotlichtarbeiterin.
Jetzt tue ich Windeln wechseln, den Kleinkindern ihr Fläschchen geben (immer Pulvermilch, weil wird nicht so schnell schlecht), den Größeren beim Hausaufgabenmachen zuschauen und danach mit ihnen herumtollen und generell aufpassen, dass sich die Kinder nicht attackieren. Da sie selber manchmal von den Tanten geschlagen werden, herrscht hier leider eine ziemlich hohe Gewaltbereitschaft unter den Kleinen. Und in dem täglichen Chaos um diese Uhrzeit, lässt es sich schlecht auf alle gleichzeitig aufpassen. Da kommt es leider schon mal vor das jemand verletzt wird und etwas blutet. Darauf sind dann alle Betreuer äußerst allergisch. Denn Kinder sind sich natürlich der Gefahr der HIV-Übertragung überhaupt nicht bewusst.
Allerdings wird hier schon sehr auf Sauberkeit geachtet finde ich. Der Fußboden wird mind. 3x täglich auf Knien mit der Hand gewischt, ständig wird gesaugt und gefegt und überall findet man Hand-Desinfektionsmittel.
Hin und wieder bade ich dann auch mal ein Kind wenn dieses das zulässt. Wenn das Kind gerade nicht will, dann nützt auch kein Anbrüllen und nichts. Es wehrt sich dann mit Händen und Füßen und bläkt in einer derartigen Lautstärke, dass ich verzweifelt aufgeben und diesen Job den Tanten überlassen muss. Obwohl ich ja doch so gerne mithelfen möchte!
Nach dem Abendbrot gebe ich einem kleinen halbgelähmten Jungen (ca. 6 Jahre) etwas Physiotherapie. Er kann sich zwar bewegen, aber immer nur sehr langsam und seine Füße sind steif. Natürlich mag er das Dehnen nicht, deshalb benutze ich dabei manchmal seine Füße wie ein Mikrophon und singe ihm irgendwelche Schlager vor, die er sowieso nicht versteht. Richtig gut kommt hierbei z.B. der Refrain von "The Boxer" von Simon und Garfunkel an. "Lei le lei!! *Dufffff* Leileleileileileilei..." =)

Gegen 19.30 Uhr fahre ich dann mit einem 10jährigen und meinem Kleinen auf dem Gepäckträger wieder die ca. 20min zu meiner Wohnung. Hier angekommen wird erstmal lange Fange gespielt, wobei der Gefangene ersteinmal so richtig durchgekitzelt wird. Das ist ganz schön anstrengend, aber sehr lustig. ;)
Die letzte große Herausforderung des Tages ist die Kinder dann gegen 21 Uhr zum Schlafen zu bringen. Das kann sich bis zu einer Stunde aus Spaß, ernsten Worten, Drohungen und Schimpfen hinziehen.

Das ist mein Tagesablauf. Allerdings ändert sich hier sowieso vieles täglich, deshalb ist immer ein hohes Maß an Flexibilität und Offenheit gefragt. Generell macht mir die Arbeit eigentlich schon Spaß, bringt mich aber auch beinah täglich an meine absoluten Geduldsgrenzen. Aber das ist ein guter Teil von genau der Herausforderung, die ich gesucht habe. Deshalb versuche ich damit zufrieden zu sein. Wenn ich jetzt noch die Sprache sprechen könnte, geduldiger wäre, mehr Freizeit hätte und die Kinder lieber wären, könnte ich schon fast sagen ich bin zufrieden. Aber dafür habe ich ja noch beinah ein ganzes Jahr Zeit! ;o)