Samstag, 25. Februar 2012

Kurzgeschichten





Lange schon habe ich hier nichts mehr geschrieben. Vielleicht auch, weil sich die Dinge kaum verändert haben. Der Alltag bleibt abwechslungsreich und herausfordernd. Die Kinder bleiben ungehorsam, Chinesisch schwierig und die Kultur schwer verständlich.
Trotzdem möchte ich heute eine Reihe von Begebenheiten und kleinen Geschichten erzählen, die teils verbunden, teils unabhängig voneinander passiert sind und die nicht ungehört bleiben sollen.

Mein Kollege: „Gestern ist ein Patient im Mc Donalds gestorben!“ Ich darauf: „In Mc Donalds??“ Er: „Ja, goldener Schuss.“
(Anmerkung: Auch wenn wir bemüht sind unsere Klienten von jederlei illegalem Drogenkonsum fernzuhalten, gelingt uns das bis weilen leider nur teils. Die Vergangenheit holt sie ein, und damit leider auch die Droge.)

„Wenn man dich ansieht, fallen die Vögel tot von den Bäumen und die Fische nehmen Reißaus!“ Tja, was sich für einen Europäer wie eine üble Beleidigung anhört, ist hier ein riesiges Kompliment! Denn die durch die unbeschreibliche Schönheit einer Person werden die Vögelein zu Tode geblendet und die Fischlein schwimmen davon! Derartige Redewendungen gibt es häufig im Chinesischen. Wenn man zum Beispiel einen Freund trifft, fragt man zwar auch wie es ihm geht, aber gleich darauf: „Hast du schon gegessen? Bist du satt?“ Das heißt nicht, er will dich zum Essen einladen, sondern ist reine Höflichkeit. Da ist man als ahnungsloser Ausländer manchmal schon ganz schön verunsichert. Wie gut, dass es dafür Sprachkurse gibt!

Unsere kleine 4-jährige in der Schwimmhalle zum Bademeister: „Schau mal, das da drüben ist meine Mama und der dort, der ist ihr Mann!… Ja, äh und die 12 Kinder um ihn herum sind alle seine!“
Erklärung: Die „Mama“ ist eigentlich eine unserer (verheirateten!) Tanten, der Mann bin ich und die Kinder sind meistens Halb- oder Vollwaisen. Interessanterweise sprechen die sich untereinander fast nur als Brüder- und Schwesterlein an. Ich werde jedoch nicht als Papa, sondern wahlweise als Onkel, als Bah-Säh-Dii oder als Mann ihrer jeweiligen Mutter angeredet. Die Kleineren verstehen das noch nicht und rufen mich deshalb häufig einfach „Ehemann!“. Das führt dann, gerade wenn ein Junge ruft, häufig zu Gelächter.  
Fast jedes Kind sucht sich immer für eine Zeit lang eine der Tanten als „Muttertante“ aus. Wer mal besonders lieb war, oder das Kind beschützt hat, wird ganz schnell zur „Mutter“.


Beförderungslogistik:
5 Sitze, ein Kofferraum, 15 Kinder, 8 Erwachsene, keine Gurte, Berufsverkehr, ein Ziel.
Ja, es ist möglich. Und nach ca. 20min schreien auch die meisten Kinder nicht mehr, sondern sind bei der stickigen Luft eingeschlafen. Ich sitze irgendwo eingezwängt hinten im Kofferraum (Kombi) und ärgere mich schwarz, dass ich gestern in der Schule nicht aufgepasst, und mir die Wörter „Fenster“ und „öffnen“ nicht eingeprägt habe.
Aber auch so eine Fahrt geht nach ca. 1,5 Stunden mal vorüber und was danach kommt wird fast noch schlimmer: Ein Galabuffet irgendeiner politischen Institution, die sich natürlich nicht lumpen lässt und auch ein paar sozial Benachteiligte, wie uns zum Beispiel, dazu einlädt. Kindersitze können nach der ersten halben Stunde doch noch irgendwoher besorgt werden, doch die Kristallgläser, die teuren Porzellanteller und –schalen, sowie die Glastische sind nun der Willkür, der nur an Plastik gewöhnten Kleinen, völlig ausgesetzt. Neben diesem Chaos moderiert noch die ganze Zeit jemand in ohrenbetäubender Lautstärke sein Wahlkampfprogramm munter rauf und runter, was nur von dem auf jeden 2. Satz folgenden kräftigen Applaus der kompletten Zuhörerschaft kurz unterbrochen wird.
Später hat natürlich wieder einmal keiner daran gedacht Ersatzwindeln einzupacken, was die Rückfahrt nicht gerade leichter macht. Das einzige Glück: ich darf dieses Mal ohne 2 oder 3 Kinder auf dem Schoß sitzen, denn alle Autofahrer hatten zu dem teuren Wein auf dem Tisch nicht nein sagen können und wurden deshalb flugs auf die hinteren Plätze verdrängt. Somit musste ich den Platz links vorne einnehmen.
Bei der Diskussion mit einem 12-Jährigen während der Fahrt, welches denn nun der richtige Weg nach Hause sei, fiel meine Entscheidung leider eine Millisekunde zu spät. Denn in diesem Zeitpunkt schaltete meine Ampel auf Rot, welches, anders als in Deutschland, hier schon automatisch als „grün“ der kreuzenden Spur verstanden wird. Ich konnte gerade noch bremsen (was durch ein mind. 20-stimmiges erschrecktes und ärgerliches Aufmurren hinter mir kommentiert wurde), da wurde ich mitten auf der Riesenkreuzung schon von einem unüberschaubaren Schwarm von Motorollern, Klein- und Lieferwagen eingekesselt und von allen Seiten fleißig angehupt. Ich erwischte mich in diesem Moment auf dieser gefühlt zehnspurigen Straße bei dem Gedanken, ob mir mit Kindergeschrei hinten im Kofferraum Sitzen nicht vielleicht doch angenehmer sein würde. Verwarf ihn aber ganz schnell wieder.
Dank sei Gott erreichten wir dann doch noch irgendwann über ungezählte Umwege unser Ziel.
Ich bin wie schon oft Gott äußerst dankbar, dass es Ohrstöpsel, Kaffee, Kopfschmerztabletten und Schokolade gibt. Und ich frage mich, wie Menschen auf anderen Erdteilen ohne all diese Hilfsmittel mit mehreren Kindern auf einmal klarkommen können.

Gott füttern: Auf dem kleinen Regal in meinem Zimmer steht das wunderschöne Bild von Jesus Christus (Titelbild vom Gebetsheft „Wahres Leben in Gott“). Nun hatte ich beim Umräumen gerade ein paar Süßigkeiten vor dem Bild abgelegt. Als dann der 7-Jährige abends neugierig in mein Zimmer trat, wurden seine Augen ganz groß und er sagte: „Hey, das kenn‘ ich! Du fütterst Gott, nicht wahr?!“ …=)
Meine Antwort, dass Gott kein Essen, sondern vielmehr unsere Liebe und unser Vertrauen haben möchte, war für ihn leider kaum begreifbar. Später erklärte mir eine Einheimische, dass man hier tatsächlich oft Obst, Speisen und Getränke vor Götzen-, oder auch Ahnenaltären aufstellt, um diese im Jenseits zu füttern. In der folgenden Zeit habe ich das sehr häufig hier erlebt. Besonders zum chinesischen Neujahr und ähnlichen Festtagen.
Als ich dann bei Freunden zu Tisch saß und plötzlich solche „Opferspeisen“ auf meinem Teller wiederfand, noch teilweise bedeckt von dem Staub der okkulten Räucherstäbchen, eröffnete sich mir eine viel tiefere Bedeutung des Betens vor dem Essen. Denn mir wurde bewusst, auch was vorher anderen Mächten geweiht wurde, kann nichts gegen den Segen dessen vermögen, dem „alle Macht gegeben ist, im Himmel und auf der Erde“ (Mt 28, 18), Jesus Christus.


Meine Chefin sandte mich mal für ein Wochenende nach Hong Kong um dort um Spenden zu werben. Bei einem Sportfest in einem Super-Reichenviertel haben wir schon jahrelang immer einen Stand, verteilen Flyer, verkaufen Spielzeug und werben für Kinderpatenschaften. Leider war die Spendenbereitschaft der Menschen dort erschreckend minimalistisch. Doch wenn ich in ihre Augen schaute, fand ich die Leere und Traurigkeit darin sogar noch schockierender. Sie leben dort in einer perfekten Welt, in der für Schönheit und Luxus offenbar alles gegeben wird. Doch für die wahren Werte menschlichen Zusammenlebens wie Glaube, Liebe, Hoffnung, Vertrauen, Frieden usw. schienen diese Leute dort leider blind zu sein. Wie traurig.


„Immer der Polizei nach!“ Das war die Anweisung meiner Chefin als ich am Steuer saß und der völlig betrunkene Teenager sich hinten unter dem Sitz zu verstecken versuchte.
Das sollte nicht das erste Mal bleiben, dass die Polizei bei uns aufkreuzte. Leider können manche unserer Schützlinge die kriminelle Vergangenheit nicht abschütteln, die ihnen von ihren oft drogenabhängigen Eltern anerzogen worden ist. Daher kommt es, dass meine Wohnung unter der Woche jeden Abend zu einer kleinen Jugendvollzugsanstalt mit strengen Regeln wird, ich mein Zimmer nachts immer abschließen und mir Geld und Kreditkarte eng um dem Bauch schnallen muss, um niemanden in Versuchung zu führen.
Dank sei Gott ist mir bei all dieser Verantwortung bis heute kaum etwas Ernstes zugestoßen. Die größte Herausforderung sah ich darin, bei aller Macht und Kontrolle die Nächstenliebe plötzlich nicht zu vergessen. Außerdem habe ich mich dabei häufig am Abend gefragt, ob ich hier eigentlich noch der Diener meiner Schutzbefohlenen bin, der zu sein, ich eigentlich herkam. Vielleicht ist es aber auch gut, noch ungeklärte Fragen zu haben. Sonst könnte mein Alltag ja gar dazu tendieren langweilig zu werden! ;-)

Im Großen und Ganzen betrachtet bin ich aber wirklich sehr zufrieden und dankbar für alles, was Gott mir hier an Erfahrung, Herausforderungen und Strapazen schenkt. Es ist eine so spannende und auch gefährliche Zeit, wie ich sie selten erleben durfte, in der ich mich aber auch wie selten so sehr durchs Gebet und durch Gottes Segen gestützt und getragen erleben darf.

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